Kulturbeiträge

Der langsame Tod der Videospielanleitung

Im Jahr 2018 habe ich bereits einen ähnlichen Artikel zu diesem Thema verfasst und dachte mir nachdem die Situation eher schlimmer als besser geworden ist, schreibt der alte Mann nochmal einen besseren Beitrag dazu und beschwert sich über die Veränderung seines liebsten Mediums. Seht es mir also nach wenn ich den „Old man yells at cloud“ spiele.

Old man yells at cloud
Old man yells at cloud

Warum ein Kulturgut im Jahr 2025 fast vollständig verschwindet

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Veränderungen begleiten den Alltag, werden aber selten begeistert aufgenommen. Auch die Gaming Welt ist hiervon nicht ausgenommen. Und ein besonders stiller Verlust der letzten Jahre betrifft ein Element, das viele Spielerinnen und Spieler über Jahrzehnte geprägt hat: die klassische Videospielanleitung.

Der stille Abschied von einem Kulturgut

Videospielanleitungen mögen im ersten Moment unscheinbar wirken. Sie standen nie im Zentrum gesellschaftlicher Debatten und wurden selten als eigenständiges Kulturgut betrachtet. Doch genau das waren sie: ein gezeichneter, gedruckter Zugang zu digitalen Welten, ein Ritual des Auspackens, ein eigener Teil der Gaming Identität.

Für viele gehörte es zum Alltag, im Schulbus in einer Anleitung zu blättern, die Artworks zu studieren oder sich auf das erste Level vorzubereiten, noch bevor die Konsole überhaupt eingeschaltet wurde.

Der langsame Tod der Videospielanleitung
Der langsame Tod der Videospielanleitung

Als Anleitungen noch Geschichten erzählten

Die Anleitung war oft das eigentliche Intro eines Spiels. Viele Klassiker nutzten sie, um Handlung und Welt zu erklären. Super Mario Bros. enthüllte nur im Heft den Hintergrund, dass Bowser die Bewohner des Pilzkönigreichs in Blöcke verwandelt hatte. Andere Spiele erzählten über die Anleitung kleine Geschichten, charakterisierten Figuren oder boten Illustrationen, die heute zu ikonischen Erinnerungsstücken geworden sind.

Auch funktional waren Anleitungen wichtig. Sie erklärten Steuerungen, Spielsysteme oder Menüstrukturen zu einer Zeit, in der Tutorials kaum existierten. Spiele wie Mega Man, Donkey Kong oder Kirby funktionierten intuitiv, doch der Blick in das Heft eröffnete zusätzliche Details und Geheimnisse.

Von Pick Up and Play zu komplexen Lernkurven

Mit der steigenden Komplexität moderner Spiele wuchsen auch die Anforderungen an Erklärungen. Heute werden Spieler durch Ingame Tutorials, Hinweissysteme, Pop Ups und Online Wikis geführt. Wo früher ein paar Seiten Papier genügten, übernehmen heute digitale Tools die gesamte Einführung.

Damit verschwanden nicht nur Anleitungen, sondern auch die besondere Form des Einstiegs in ein Spiel, der ohne Menüs, Ladezeiten oder Online Zugänge auskam.

Der große Bruder der Anleitung: Strategy Guides

Neben den klassischen Booklets entwickelte sich eine zweite, bedeutende Form gedruckter Gaming Kultur: Strategy Guides.
Sie waren das Premiumsegment des Spielewissen Universums, oft hunderte Seiten stark, mit Karten, Artworks, Hintergrundwissen und vollständigen Walkthroughs.

Die wichtigsten Publisher waren:

Prima Games
Der absolute Marktführer der 90er und 2000er, bekannt für umfassende Guides zu nahezu jedem großen Titel.

BradyGames
Der schärfste Konkurrent, oft mit besonders detaillierten Tabellen, Statistiken und professionellen Layouts.

Future Press
Der europäische Qualitätsverlag, der bis heute für seine hochwertigen Hardcover Ausgaben gefeiert wird. Besonders beliebt bei Sammlern und für Spiele wie Dark Souls, Zelda oder NieR.

Der langsame Tod der Videospielanleitung
Der langsame Tod der Videospielanleitung

Strategy Guides waren ein eigenes Kulturgut. Sie wurden gesammelt, verliehen, auf dem Schulhof weitergereicht oder über Jahre hinweg wie kleine Wissensschätze aufbewahrt. Ihr Untergang begann, als Youtube, Streaming und Wikis die Rolle der gedruckten Strategie ablösten.

2025 erscheinen zwar noch vereinzelt Guides, aber die goldene Ära ist vorbei. Prima Games und BradyGames existieren nur noch digital oder in stark reduzierter Form. Future Press hält als kleiner Verlag zwar weiterhin die Fahne hoch, doch auch hier schrumpfen die Veröffentlichungen.

Ein Milliardenmarkt verändert seine Prioritäten

Mit dem Wachstum der Branche stiegen auch die Produktionskosten. Wo einst kleine Teams an Spielen arbeiteten, stehen heute hunderte Mitarbeiter hinter großen Produktionen. Studios mussten sparen und die gedruckten Anleitungen galten als verzichtbarer Kostenfaktor.

Zuerst wurden sie dünner und liebloser, später verschwanden sie fast vollständig. Selbst Nintendo, lange bekannt für kreative Booklets, stellte mit 3DS und Wii U endgültig auf digitale Kurzinfos um.

2025: Die Anleitung ist praktisch Geschichte

Heute enthalten physische Spiele maximal einen dünnen Einleger mit rechtlichen Hinweisen. Die eigentliche Anleitung befindet sich digital oder wird gar nicht mehr angeboten. Spieler greifen stattdessen auf Ingame Tutorials, Wikis, Discord Server, Streamer und Let’s Plays zurück.

Für Sammler ist das ein schwerer Verlust. Die Haptik, das Design, der Geruch frisch gedruckter Seiten und das gezielte Blättern durch eine liebevoll gestaltete Anleitung gehören der Vergangenheit an.

Der langsame Tod der Videospielanleitung
Der langsame Tod der Videospielanleitung

Nostalgie, die bleibt

Viele halten Anleitungen für überflüssig. Doch jeder, der einst die Super Mario World Anleitung im Bus dabei hatte oder nachts im Bett durch die Artworks eines Bosses blätterte, kennt ihren Wert. Sie waren ein fester Bestandteil der Vorfreude und des Entdeckens.

Diese emotionale Verbindung lässt sich digital kaum reproduzieren.

Ein trauriger Trend geht weiter: Auch physische Spiele verschwinden

Der Niedergang der Anleitung ist nur ein Symptom eines viel größeren Trends: der rapide Rückgang physischer Medien.

Nintendo setzt auf kleine Game Cards, die in immer spartanischer gestalteten Verpackungen erscheinen und durch die Einführung der Gamekeycards sind viele der Titel nicht mal mehr auf der Card selbst sondern benötigen einen Download.
PC Spiele sind quasi vollständig digital. Steam hat die Box Version verdrängt.
Playstation 5 und Xbox Series X verzeichnen jedes Jahr höhere Download und Streaming Zahlen, während physische Verkäufe zurückgehen.
• Viele Publisher veröffentlichen manche Titel gar nicht mehr auf Disc oder betreiben mit Unternehmen wie Limited Run eine limitierte und überteuerte Auflage ihrer Titel.

Damit verliert nicht nur die Anleitung ihren Platz, sondern auch das gesamte physische Erlebnis: Cartridges, Hüllen, Cover Art, Booklets, Steelbooks, Sammlerausgaben mit Handbuch.

Ein Stück Identität des Gamings verschwindet.

Der langsame Tod der Videospielanleitung
Der langsame Tod der Videospielanleitung

Fazit: Ein Kulturgut, das leise gegangen ist

Videospielanleitungen und Strategy Guides waren mehr als technische Hilfen. Sie waren Kunst, Atmosphäre, Kontext und ein Startpunkt des Abenteuers. Ihr Verschwinden zeigt, wie stark sich die Gaming Kultur in Richtung Digitalität bewegt.

Die Branche ist moderner, schneller und bequemer geworden, aber auch ein Stück ungreifbarer. 2025 markiert den Punkt, an dem klar wird: Das physische Spiel und seine Begleitkultur werden zu Nischenprodukten.

Mach es gut, Anleitung. Mach es gut, Strategy Guide. Mach es gut, Cartridge. Ihr seid für immer Teil einer Ära, die nicht zurückkehrt, aber niemals vergessen wird.

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