Es ist unmöglich, über Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes zu sprechen, ohne über den Mann zu sprechen, der diese Reise überhaupt erst losgetreten hat: Yoshitaka Murayama. Als Schöpfer der Suikoden-Reihe und federführender Autor dieses Spiels hat er nicht nur eine Hommage an seine Vergangenheit geschaffen, sondern auch ein Vermächtnis, das leider sein letztes ist. Murayama verstarb im Februar 2024 – kurz vor dem Launch. Und ja, das legt sich wie ein schwerer Schatten über das Spiel.

Was ist das überhaupt für ein Spiel?
Hundred Heroes ist kein Remake, sondern ein geistiger Nachfolger. Ein vollwertiges, rundenbasiertes JRPG mit Pixel-Charme, 3D-Kulisse, über 100 spielbaren Figuren, Festungsbau, Minispielen, und einer politischen Geschichte, die überraschend klar erzählt wird – auch für Leute, die schon beim Intro von Fire Emblem geistig aussteigen.
Du spielst Nowa – einen jungen, gutmütigen Söldner, der in einen Kontinentalkrieg verwickelt wird, als das Galdeanische Imperium versucht, die Macht der magischen Runenlinsen zu monopolisieren. Dazu kommen zwei andere Protagonisten: Seign, ein adliger Imperialist mit Herz, und Marisa, eine Waldläuferin, die mit Tieren sprechen kann. Ja, das klingt nach einem klassischen JRPG-Setup. Und es ist eins. Aber es funktioniert, weil die Geschichten der drei immer wieder miteinander verflochten werden – nicht durch Infodumps, sondern durch clevere Perspektivwechsel und spielbare Rückblenden.
Die Struktur ist relativ klar: Du reist über die Weltkarte, besuchst Städte, sprichst mit Leuten, rekrutierst Helden, schaltest neue Systeme frei, ziehst weiter. Und in der Mitte von allem steht dein Hauptquartier, das du im Lauf des Spiels zu einem richtigen Schloss mit Läden, Minispielen, Werkstätten und Trophäenwand ausbauen kannst.

Kämpfe: Mehr Auto als Taktik
Die Kämpfe? Rundenbasiert, klassisch. Du stellst ein Sechserteam zusammen, drei vorne, drei hinten. Jeder Charakter hat eigene Werte, Fähigkeiten und – wenn du Glück hast – sogar Kombinationsangriffe mit bestimmten anderen Figuren. Letztere sind schön animiert und machen ordentlich Schaden, aber sie sind eher Eye Candy als ein taktischer Gamechanger.
Es gibt ein halbautomatisches System: Wenn du willst, kannst du für jeden Charakter einstellen, wie er sich im Auto-Modus verhalten soll. Nur heilen? Nur Zauber? Defensive? Das funktioniert gut – vielleicht sogar zu gut. Ich habe 80% der Standardkämpfe einfach per Auto laufen lassen. Nicht, weil ich faul bin, sondern weil ich ehrlich gesagt kaum strategische Notwendigkeit gesehen habe, aktiv einzugreifen.
Bosskämpfe sind da schon spannender. Die bringen manchmal kleine Gimmicks mit, wie ein Krabbenboss, der erst auf den Rücken gedreht werden muss, bevor er Schaden frisst. Oder Hebel, die du umlegen musst, bevor ein Felsen vom Himmel fällt. Alles nett, aber leider auch nicht ganz so häufig, wie man es sich wünscht.
Und ja: Es gibt Random Encounters. Viele. Zu viele. Und das ist der erste Punkt, an dem Hundred Heroes beginnt zu nerven. Gerade in Dungeons, wo du Schlüssel suchst oder Pfade rotieren musst, willst du einfach nur durch. Stattdessen wirst du im 10-Sekunden-Takt in Kämpfe geworfen. Eine Option, das zu reduzieren oder zu beschleunigen? Fehlanzeige.

Rekrutierung: Pokémon mit Persönlichkeiten
Der eigentliche Reiz liegt im Sammeln. Nicht von Items, sondern von Menschen. Manche sind offensichtlich – du sprichst mit ihnen, sie schließen sich an. Andere wollen, dass du Dinge sammelst, Rätsel löst, sie in Minispielen besiegst oder sie schlicht dreimal ansprichst. Es fühlt sich ein bisschen an wie Pokémon, nur dass jeder „Pokémon“ eine Hintergrundgeschichte, eine Stimme und einen eigenen Platz im Schloss hat.
Und da passiert plötzlich etwas Wunderschönes: Das Spiel beginnt, sich wie ein richtiges Zuhause anzufühlen. Du betrittst dein Schloss, siehst den Koch, der ein neues Gericht kreiert hat, den Händler, der neue Waren importiert, und die Kämpferin, die nun im Trainingsbereich gegen dich antreten will. Das alles wirkt nicht wie Beiwerk, sondern wie der Kitt, der die vielen kleinen Geschichten zusammenhält.
Der Season Pass
Der Season Pass von Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes erweitert das Hauptspiel um drei eigenständige Story-DLCs, die jeweils neue Perspektiven und Inhalte bieten:
- Das Kapitel von Marisa: Ein Prequel, das Marisas Reise als Hüterin beleuchtet und ihre Begegnung mit einem verzauberten Mädchen beschreibt. Die Geschichte spielt in den üppigen Weiten des Großen Waldes und auf den geheimnisvollen Runenhügeln.
- Das Kapitel von Seign: Erzählt die Geschichte aus der Perspektive von Seign, einem Offizier des Imperiums, der sich von Nowas Gruppe trennt, um interne Konflikte im Imperium zu lösen. Dieses Kapitel bietet Einblicke in die Ereignisse innerhalb des Imperiums während ihrer Abwesenheit.
- Das Kapitel von Markus: Markus, Carrie und Nowa entdecken eine Anomalie namens „Verzerrter Hinkelstein“, die ein mysteriöses Teleportationsportal öffnet. Als Trio erkunden sie die rätselhafte Welt dahinter, was möglicherweise Licht auf Markus‘ verschleierte Vergangenheit wirft.
Zusätzlich enthält der Season Pass drei Original-Wallpaper von Junko Kawano und ein HQ-Renovierungspaket mit goldener und rosa Außenfarbe für das Hauptquartier.
Die DLCs sind auch einzeln erhältlich, jedoch bietet der Season Pass ein kostengünstigeres Gesamtpaket für Spieler, die das vollständige Erlebnis wünschen.

Und wie fühlt sich das alles an?
Mal ehrlich: Hundred Heroes wirkt wie ein Spiel, das mit Herzblut gemacht wurde – aber auch mit klaren Grenzen. Die Animationen sind liebevoll, die Musik ist stimmungsvoll (vor allem das zentrale Thema), die Charaktere haben echte Wärme. Aber es gibt Risse. Menüs sind träge. Speichern geht nur an bestimmten Punkten. Manche Städte sehen fantastisch aus, andere wie ein schnell zusammengebautes Unity-Projekt. Und ja: Die Kamera fährt bei jedem Kampfbeginn die gleiche, langsam abgespielte 3D-Rotation ab – jedes. verdammte. Mal.
Aber: Ich hatte Spaß. Wirklich. Es ist ein Spiel, das mit jeder Stunde wächst. Anfangs ist es noch unscheinbar, fast altbacken. Aber dann kommt das erste große Story-Event. Dann das Schloss. Dann die Nebenquests, die tatsächlich gut geschrieben sind. Und plötzlich ist man mittendrin – wie früher, als man sich noch im Sommer in ein JRPG vergraben konnte, ohne auf WhatsApp 14 Mal gefragt zu werden, ob man mit zum See will.
Fazit: Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes ist kein perfektes Spiel. Aber es ist auch kein nostalgischer Blender. Es ist ein echtes JRPG – eins mit Ecken, Kanten, und Momenten, in denen du das Pad weglegen willst, weil das Dungeon-Design nervt. Aber auch eins, in dem du plötzlich nachts um eins feststellst, dass du gerade fünf neue Leute fürs Schloss rekrutiert hast und das neue Ramen-Restaurant läuft.

Murayama hätte vermutlich gewusst, dass nicht alles perfekt ist. Aber was er geschaffen hat, ist ein würdiges Erbe. Ein Spiel, das Menschen wieder für das Genre begeistert, ohne sich nur auf Retro-Charme zu verlassen.
Wenn du Suikoden liebst, wirst du hier sowieso landen. Und wenn du einfach ein gutes, großes, warmes Abenteuer suchst, das dir erlaubt, ein bisschen zu verweilen, dann – ja, dann ist das hier genau dein Ding. Trotz allem. Oder gerade deswegen.
- Plattform: PlayStation 4/5 (getestet), Nintendo Switch, Xbox One, Microsoft Windows, Xbox Series
- Publisher: 505 Games
- Entwickler: Rabbit & Bear Studios, Rabbit&Bear Studios Inc.
- Genre: J-RPG
- Spieleranzahl: 1
- USK: 12
- Release: 21. April 2024

Passionierter Videospieler seit dem dritten Lebensjahr. Angefangen mit dem Nintendo Entertainment System zog sich die Leidenschaft bis ins Erwachsenenalter. Heute als PR-Manager, freier Redner und Texter unterwegs. Zu den Lieblingsreihen gehören Metroid, Smash Bros, Super Mario und Halo 1-3.
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