Weiter geht es mit unserer Kolumne zum Vergleich zwischen West und Ost
3. Real Culture x VR Culture
In Japan, ist der konfuzianische Lehransatz des stetigen Wiederholens auf sehr vielfältige Weise kultiviert worden. Sogar in kulturellen Strömungen, die sich in mancher Hinsicht gegen den Konfuzianismus bewegen. Nehmen wir die dem Zen-Buddhismus verbundene Teezeremonie. Vor vielen Jahren durften ich und einige Studienkollegen an einer solchen teilnehmen. Dabei erklärte uns der Teemeister, dass die Ausbildung eines Schülers zum Teekochen 10 Jahre dauert. In diesen 10 Jahren erklärt der Meister dem Schüler nie das Geheimnis des Teekochens. Sondern der Schüler wiederholt immer und immer wieder, dass was er durch beobachten des Meisters sieht. Durch ständiges Wiederholen, durch die Perfektionierung des immer wieder gleichen Vorgangs, wird er irgendwann intuitiv ergründen, wie es funktioniert. Ähnlich ist das Konzept der Wissensaneignung im japanischen Lehrsystem. Im Westen legt man eher darauf Wert, dass sich die Schüler von vornherein eigene Gedanken machen. Das Wissen wird theoretisch begründet, dann geht es darum eigene Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Von vornherein innovativ sein. Doch ähnlich wie bei uns im Mathematik Unterricht, ist es in Asien anders. Die Idee für den richtigen Lösungsansatz, die Intuition den richtigen Lösungsansatz zu finden, ist das Resultat dessen, das man Jahrelang Wissen gesammelt, und verschiedene Dinge immer wieder im Kopf durchgespielt und geübt hat. Es ist keine Intuition die von vorneherein gefördert und hergeleitet wurde, wie im Westen, sondern eine die sich durch Erfahrung irgendwann beiläufig, aber dennoch natürlich entwickelt hat. Und diese Intuition hat eine andere Qualität. Es ist eine, die darauf ausgelegt ist, durch innere Ruhe und Konzentration ein Problem zu lösen. Tendenziell ist es auch wichtig eine längerfristige, solide Problemlösung zu finden. Dies ist eine kulturelle Tendenz, welche Deutschland sogar zum Teil mit Japan teilt.
Dennoch sind wir auch von der eigenen westlichen und vor allem amerikanischen kulturellen Tendenz beeinflusst, möglichst schnell, möglichst effektive und somit innovative Lösungen für ein Problem zu finden. Dies möchte ich die kurzfristig ausgerichtete Intuition/Innovationsgabe nennen. Die Japanische nenne ich die langfristig orientierte Intuition/Innovationsgabe. Wo die kurzfristige den Pioniergeist vielleicht weckt, schult die langfristige die Perfektionierung.
Kehren wir nun zu Videospielen zurück. Denn der Anspruch von Gameplay an den Spieler richtet sich an die unterschiedlichen Ausprägungen dieser Intuitivität. Ein japanisches Spiel möchte geübt und gemeistert werden. Auf lange Sicht. Hat man die Mechanik so weit geübt, dass sie in Fleisch und Blut über gegangen ist, und die Levels auswendig gelernt, ist man ruhig und konzentriert zu Höchstleistungen fähig. Man schafft alles ohne ein Leben zu verlieren in Höchstgeschwindigkeit. Ist euch schon mal aufgefallen dass es die meisten Speedruns zu japanischen Spielen gibt? Das liegt daran, dass durch den mechanischen Ansatz der japanischen es nicht mehr der Skill der Programmierer ist, auf den es ankommt, sondern der Skill der Spieler, die Spielmechanik zu verinnerlichen.
Westliche Spiele hingegen möchten gelebt und überlebt werden. Von ihrer Inszenierung bis hin zu den Möglichkeiten die man dem Spieler gibt, sind sie darauf ausgelegt, ständig eine Überraschung zu bieten, den Spieler ständig aufs neue herauszufordern, eine Situation neu zu beurteilen, und die Freiheiten des Spiels zu nutzen. Es geht weniger darum, die Grenzen zu kennen, sondern eher darum, alle Möglichkeiten die man hat effektiv zu nutzen. Belohnt wird das mehrmalige durchspielen, durch neue Skills, die einen mächtiger machen, und in vielen Spielen heutzutage, auch alternativen Szenen, die zusätzlich zum experimentieren einladen.
Ein Genre in dem alles was ich bisher beschrieben habe besonders zum Tragen kommt, sind Fighting Games. Das Gameplay von westlichen und japanischen Fightgames unterscheidet sich erheblich. Bei japanischen Games geht es um genau dieses auswendig lernen der Moves, der Verinnerlichung der Spielmechanik bis hin zur Perfektion.
In Tekken sind es ellenlange Combos und Juggles. Absolute Charakterbeherrschung, das Anpassen der Fähigkeiten an die Anforderungen und perfektes Timing sind das A und O. Dazu gehört auch, jeden möglichen Gegner perfekt einzustudieren.
Bei westlichen Fightgames ist das Timing auch das Wichtigste. Aber wenn man die UFC und MCAA Spiele anschaut, oder ältere Games wie Def Jam, sieht man vor allem eine Feature hervorgehoben. Die Charaktererschaffung. Tatsächlich spielen sich die meisten Charaktere sehr ähnlich, die Moves funktionieren auch genau gleich. Es geht viel mehr darum, eine individuelle Kombination aus Moves zusammenzustellen während man seinen eigenen Kämpfer zusammen baut. Der Gegner muss dann eben diese Moves erkennen und richtig reagieren. Ein Defjam oder UFC Fight ist eigentlich eine Abfolge von Reaktionsminigames. Auch kommt hier sehr zum Tragen, wie hoch der Charakter schon gelevelt wurde, und wie er ausgerüstet wurde. Es ist also weniger die Fähigkeit das Spielsystem zu üben, als die Fähigkeit, die Tools die einem zur Verfügung gestellt werden, ausgiebig zu nutzen. Die Software tut ihr übriges, um den Charakter automatisch stärker zu machen. Auch sollen die Moves einfach möglichst fetzig aussehen. Dies scheint wichtiger zu sein, als die Schwierigkeit die Moves auszuführen. Es sind also ganz andere Emotionen eigentlich, die ausgelöst werden. Bei westlichen Fightgames hat man den schnellen brachialen Fighting Spaß. Zwar sieht alles realistisch aus, doch japanische Fighting Games sind trotz ihres unrealistischen Stils insofern realistischer, dass sie oft schwerer zu meistern sind. Es ist teilweise echt eine Kunst.
Es ist persönliche Präferenz, was einem eher Spaß macht, Tekken oder UFC.
Doch eins kann man klar erkennen. Die Präzision bei japanischen Fightern ist nicht nur fordender, sie ist auch ausgeprägter. Bei westlichen Spielen hingegen ist es eher der Flow und das taktische reagieren auf den Flow des Kampfes, der wichtig ist. Es gibt auch wieder Beispiele, vor allem unter Boxspielen, die trotzdem unglaublich fordernd und Präzise sind. Trotzdem bleibt hier die reine Reaktion wichtiger als das auswendig lernen.
Eine Ausnahme, welche die Regel bestätigt, ist Mortal Kombat. Mortal Kombat wird sehr traditionell entwickelt, und ist eigentlich wie ein japanisches Fightinggame. Die kulturellen Unterscheide liegen hier in der Präsentation. Das liegt vor allem daran, das Mortal Kombat zu einer Zeit entstand, in der die Herangehensweise von japanischen Entwicklern, auf Grund der Technologie noch weltweit viel verbreiteter war. Und vergesst nicht, alles was ich hier beschreibe sind Tendenzen. Es gibt überall Leute auf der Welt, die Spiele nach sehr unterschiedlichen Ansätzen zusammenbauen.
4. Kollektiv x Individuell
Bevor ich den ersten Teil meiner Kolumne abschließe, möchte ich euch jedoch mit zwei wichtigen Begriffspaaren vertraut machen:
Kollektivität – Individualität
High Context Culture – Low Context Culture
Ich werde diese Begriffe nur ganz kurz anreißen, um euch auf den nächsten Teil meiner Kolumne vorzubereiten. Asiatische und in unserem Fall die japanische Kultur, ist eher eine tendenziell kollektiv orientierte Kultur. Und die Deutsche, und noch mehr als die Deutsche die Amerikanische, ist eine tendenziell individuell orientierte Kultur.
Im Wertesystem einer kollektiven Kultur gilt es als erstrebenswerter, gut darin zu sein, sich Situationen bewusst zu sein. Je nach dem in welcher Gruppe von Menschen man sich gerade befindet, passt man sich und sein Verhalten an. Es wird als positiv betrachtet, wenn man das nötige Feingefühl hat, die sozialen Strukturen um sich zu erkennen und sich entsprechend einzugliedern. Vor allem in der Weise wie man kommuniziert und was man über sich sagt. Weil dadurch der Kontext in dem man sich bewegt wichtiger ist als das Individuum, spricht man bei einer kollektiven Kultur voneiner High Context Culture. Ist man zu individuell, sticht es zu sehr heraus, wertet man das eher als negativ.
Im Wertesystem einer individuell orientierten Kultur, ist das Individuum wichtiger als der Kontext. Wer unabhängig von anderen ist, zeigt, dass er sich von anderen unterscheidet, wer in einer Gruppe eine Führungsrolle übernimmt, und sich durch diskutieren profilieren kann, wird eher bewundert, als jemand der sich immer anpasst. Den Menschen geht es viel mehr darum, die Freiheit zu haben, ihre Persönlichkeit zu entfalten. Daher entwickeln die Menschen Argumente für ihre Individualität, um in dem Kontext in dem sie leben zu bestehen. Daher spricht man von Low Context Culture. Die Freiheit ist wichtiger als der Kontext.
Das heißt nicht, dass es in kollektiven Kulturen keine Individualität gibt, doch das Gruppenbewusstsein ist ausgeprägter. Und abhängig von jemandem zu sein, sieht man nicht so negativ. Man fühlt sich eher geborgen. Diese Erkenntnisse gehen auf einen Forscher namens Gert Hofstede zurück. Dessen Buch Software of the Mind behandelt das Thema noch viel ausführlicher. Diese Konzepte sind auch noch etwas komplexer als hier beschrieben.
Doch der Grund warum ich es hier erwähnt habe ist folgender:
Laut einigen Studien zur Kognitivität achten Amerikaner eher auf das unmittelbar wichtige. Bei Spielejournalisten ist das dann wohl das Gameplay. Es ist das direkteste Element auf dem der Videospieler die vom Designer erschaffene Realität zu spüren bekommt. Durch die Freiheiten die das Gameplay bietet. Somit ist der Spieler im Fokus. Japaner brauchen oft länger um eine Situation zu erfassen, betrachten aber dafür das Gesamtbild stärker. Eine gute Erklärung dafür wie sehr japanische Videospielmedien auf Story, Design und das Drumherum achten. Deswegen vergibt wohl auch die Famitsu andere Noten als Gametrailers. Sie nehmen den Kontext manchmal fast wichtiger als das letztendliche Gameplay, die Möglichkeiten des Spielers, respektive der Individuen. Das liegt dann teiwleise einfach schon allein daran, dass sie Japaner sind und keine Amerikaner. Es sind unterscheidliche Dinge die sie ansprechen, selbst bei den selben Spielen. Ihr seht also- es gibt einen Zusammenhang zwischen all diesen Dingen.
Im nächsten Teil werde ich euch anhand von RPGs zeigen, wie diese Konzepte von High und Low Context Culture in Videospielen zum tragen kommen. Heute sind Begriffe gefallen wie, Freiheit, Perfektionierung, Langfristigkeit und Kurzfristigkeit, Abhängigkeit und Unabhängigkeit. Für die Kulturen dieser Welt haben diese Begriffe unterschiedliche positive wie negative Konnotationen. Auch beim nächsten Mal werden sie fallen, und dann wenn es um Gameplay Szenarien und Story geht, werde ich euch erklären, warum JRPGs und West RPGs so unterschiedlich sind, wo die Gemeinsamkeiten liegen, und warum beide genau die Kultur ansprechen aus der sie kommen. Und auch warum Deutschland genau auf der Mitte der Kollektiv-Individuell Skala steht.
Eins möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen. Spiele inspirieren sich gegenseitig. Es gibt viele westliche Spiele, die Elemente aus japanischen Spielen nehmen. Blicken wir zum Beispiel auf Quicktime Events, die aus Shenmue und Resident Evil 4 kommen. Beides finden wir in Dead Space. Doch umgekehrt ist es genauso. Das Deckungssystem aus dem amerikanischen Gears Of War finden wir im japanischen Vanquish. Kultur tauscht sich über verschiedene Kanäle aus. Videospiele sind einer von vielen tausenden. Und die europäischen Spiele verbinden oft verschiedene Traditionen, denn Europas Länder sind auch ein Mischmasch aus kollektiven und individuellen Tendenzen, die in unterschiedlichen Bereichen, unterschiedlich ausgeprägt sind.
Habt ihr fragen und wollt, dass ich euch etwas erkläre, oder wollt mich einfach nur kritisieren, haut in die Tasten und lasst mir einen Kommentar da. Ich freue mich auf jede Diskussion.
Passionierter Videospieler seit dem dritten Lebensjahr. Angefangen mit dem Nintendo Entertainment System zog sich die Leidenschaft bis ins Erwachsenenalter. Heute als PR-Manager, freier Redner und Texter unterwegs. Zu den Lieblingsreihen gehören Metroid, Smash Bros, Super Mario und Halo 1-3.
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